Technologischer Wandel im Zahlungsverkehr

Jenseits der Trends: Wie geht es mit der Digitalisierung des Zahlungsverkehrs weiter?

Frankfurt City mit Skyline von unten

Der technologische Wandel im Zahlungsverkehr schreitet mit Riesenschritten voran. Commerzbank Insights sprach mit Simone Löfgen, Global Head of Payment Platforms der Commerzbank, über die großen Innovationen und Entwicklungen, die den Sektor prägen werden.

Der Zahlungsverkehr gilt weithin als Vorreiter der Digitalisierung im Finanzsektor. Welche Faktoren treiben die Innovation hier Ihrer Einschätzung nach am stärksten voran?

Simone Löfgen: Tatsächlich war der Zahlungsverkehr schon immer ein Innovationstreiber, sowohl im Finanzsektor als auch der gesamten Wirtschaft. Das ist auch heute noch so. Fünfzig Jahre nach der SWIFT-Einführung, die für die gesamte Branche ein echter Meilenstein war, entwickelt sich der Zahlungsverkehr so rasant wie selten zuvor.

Es gibt viele verschiedene Zahlungsmöglichkeiten und deshalb kann der Weg zur Digitalisierung des Zahlungsverkehrs nicht linear verlaufen. Wir bewegen uns in mehrere Richtungen gleichzeitig und so wird es auch weiterhin sein. Ein wichtiger Treiber für die gesamte Zahlungsverkehrslandschaft war jedoch die Pandemie. Nun, dass wir mit einem gewissen Abstand zurückblicken können, besteht kein Zweifel, dass es sich um einen echten Game-Changer handelte, der die bestehenden Trends im E-Commerce und der Digitalisierung von Zahlungen drastisch beschleunigte. So hat beispielsweise der im Online-Einzelhandel erwirtschaftete Umsatz 2020 um stolze 27,6 % zugelegt1. Selbst hier in Deutschland, wo die Menschen traditionell am Bargeld hängen, hat die Pandemie zahlreiche Banken dazu bewegt, deutlich mehr NFC-fähige Geräte zu vertreiben, damit deren Kundinnen und Kunden mit dem Handy bezahlen können.

Die Pandemie war aber eine Ausnahmesituation. Normalerweise steckt hinter einer Innovation im Zahlungsverkehr entweder die Regulierung oder dertechnologische Fortschritt. Zu Jahresbeginn konnte beispielsweise die Migration auf das neue Nachrichtenformat ISO 20022 abgeschlossen werden. Die Umstellung verlief reibungslos, was nicht zuletzt auf die großen Anstrengungen der Banken bei der Vorbereitung zurückzuführen ist.

Im Hinblick auf die Technologie haben sich APIs in der heutigen offenen Bankenwelt etabliert und beeinflussen weiterhin das Angebot der Bankdienstleistungen. Gleichzeitig verfolgen die Finanzinstitute auch das Thema Echtzeitzahlungen. Dies ist ein Bereich, der für Transaktionen transformativ sein kann.

Zu den vielleicht greifbarsten Entwicklungen im Zahlungsverkehr der letzten Jahre zählen die Fortschritte bei Echtzeittransaktionen. Wie ist hier der aktuelle Stand der Entwicklungen, die bisher erzielt wurden?

SL: Eine weiter verbreitete, reibungslose Übertragung von Daten von A nach B war schon immer ein zentrales Ziel der Branche. Mit Echtzeitzahlungen liegt der Fokus wieder auf dem Konto. Damit wird eine Entwicklung, die in der Pandemie zu beobachten war, auf gewisse Weise wieder zurückgenommen. Mit dem rasanten Anstieg des E-Commerce konnten wir eine Beschleunigung der nicht traditionellen Zahlungsmethoden, beispielsweise Amazon, Paypal oder ähnliche Systeme, beobachten. Während Kreditkartenanbieter sich ebenfalls über mehr Geschäft freuten, hatten traditionelle Banken das Nachsehen. Mit Echtzeitzahlungen stellen sich Banken schlagkräftiger auf und werden zu einem relevanten Akteur für das Zeitalter des E-Commerce.

Bei Inlandszahlungen wurden weltweit deutliche Fortschritte erzielt. Der „heilige Gral“ ist jedoch die Einführung von Sofort- oder Echtzeitoptionen im internationalen Zahlungsverkehr, die auch der G20-Fahrplan zu einem zentralen Ziel erklärt. Bei diesem Fahrplan handelt es sich um eine internationale Initiative, mit der Herausforderungen des internationalen Zahlungsverkehrs begegnet werden soll.

Die Pläne der Europäischen Kommission die in Ergänzung zur breiter angelegten Massenzahlungsstrategie des Eurosystems2 erarbeitet wurden, signalisieren, dass Echtzeitzahlungen zum Standard werden könnten. Derzeit werden im Euroraum rund 14 % aller SEPA-Überweisungen als Echtzeitzahlungen getätigt. Sobald diese neue EU-Verordnung in Kraft tritt, rechnen wir mit einem Anstieg auf 40 % bis 50 %.

Wir haben erfolgreiche Piloten in Asien gesehen, wie beispielsweise in Malaysia und Singapur, wo separate Instant Payment Systeme sehr gut miteinander vernetzt sind. Im März haben diese beiden Länder ihre Zahlungssysteme DuitNow und NETS miteinander verküpft, sodass Kundinnen und Kunden nun die Möglichkeit haben, sowohl persönlich als auch online mit einem QR-Code grenzüberschreitende Transaktionen durchführen zu können. Diese Initiative wird als möglicher Vorläufer für ein größeres Netzwerk aus verbundenen Echtzeitzahlungssystemen im ganzen ASEAN-Raum gesehen.

In welchem Maße unterstützt die Umsetzung der Standards ISO 20022 die Einführung von Echtzeitzahlungen? Wie werden Echtzeitzahlungen dadurch sicherer?

SL: Die Einführung eines so umfassenden Standards ist ein wichtiger Schritt in Richtung interoperabler Zahlungssysteme, die wiederum die Voraussetzungen dafür schafft, mit nationalen Echtzeitzahlungssystemen auch internationale Zahlungen in Echtzeit zu ermöglichen.

Ein weiterer entscheidender Vorteil des neuen Standards sind die vielen Analyseinstrumente, die damit ermöglicht werden. Der Großteil der Daten einer Bank stammen aus Zahlungen. Durch den neuen Standard stehen große Mengen an angereicherten, strukturierten Daten zur Verfügung und daraus lassen sich Erkenntnisse gewinnen, die Firmenkunden Vorteile verschaffen, zum Beispiel Cashflow-Prognosen und Trendanalysen.

Diese Tools können auch in der Einführung von Echtzeitzahlungen gewinnbringend eingesetzt werden. Eine der großen Herausforderungen bei Echtzeittransaktionen ist derzeit das Betrugsrisiko. Im Gegensatz zu einer normalen Überweisung, wo man bei Betrugsverdacht einige Stunden Zeit hat, um die Zahlung zu stoppen, hat man bei Echtzeitzahlungen diese Zeitfenster nicht.

Daher müssen die Betrugskontrollen entsprechend der Geschwindigkeit der Zahlungen viel schneller durchgeführt werden. Morderne Analyse Tools, die auf Basis großer Datenmengen verdächtiges Verhalten ausmachen können, sind dabei ein elementarer Teil der Lösung. Aus der laufenden Analyse von Zahlungsdaten können wertvolle Erkenntnisse über das Verhalten von Zahlenden gewonnen werden, die dann zur Betrugserkennung und -prävention genutzt werden können. Im Kreditkartenbereich ist diese Praxis bereits gang und gäbe. Eine weitere Option ist die Vorabvalidierung von Zahlungen, die eine zusätzliche Sicherheitsebene bietet.

Es gibt auch Anwendungsfälle für KI und maschinelles Lernen, die die Kreditinstitute dabei unterstützen ihre Strategien zu Betrugsprävention in größerem Umfang zu verfeinern. Der Aufbau dieser Art von Analysekapazität wird entscheidend sein, um Kundinnen und Kunden davon zu überzeugen, dass Echtzeitzahlungen sicher sind. EBA Clearing hat ein analytisches Pilotprojekt zur Erkennung von Betrugsmustern und Anomalien gestartet, für das zahlreiche Banken aggregierte Daten bereitstellen. Auch die Commerzbank ist dabei.

Im Bereich Echtzeitzahlungen werden beeindruckende Fortschritte erzielt. Sind weitere Innovationen in der Digitalisierung des Zahlungsverkehrs in Sicht?

SL: Die Distributed-Ledger-Technologie wird zum Mainstream, was insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung digitaler Währungen spannend ist. Sowohl Zentral- als auch Geschäftsbanken spielen mit dem Gedanken, eigene digitale Währungen zu begeben, auch wenn die Umsetzung sicherlich noch Zukunftsmusik ist. Für Zentralbanken böte sich mit einer allgemeinen Digitalwährung die Möglichkeit, geldpolitische Ziele in die digitale Welt zu übersetzen. Das ist nicht nur eine Reaktion auf die zunehmende Dominanz von Kreditkartenanbietern und Internetriesen wie Apple Pay und Google Pay, sondern auch eine Lösung, die den anhaltenden Wandel hin zu einer bargeldlosen Gesellschaft vorwegnimmt.

Natürlich wägen auch die Geschäftsbanken die Vor- und Nachteile ab. Aber angesichts so vieler technologischer Möglichkeiten ist noch viel im Wandel und es ist noch nicht klar, welches Modell letztlich das optimale sein wird, in welcher Form und welche Investitionen nötig sein werden, um es umzusetzen.

Sollte beispielsweise jede Großbank eigene Stablecoins begeben, also an andere stabile Vermögenswerte gekoppelte Krypto-Tokens? Oder wird sich das digitale Zentralbankgeld, zum Beispiel ein EZB-begebener digitaler Euro, als gemeinhin akzeptierter Standard durchsetzen?

Mit einem digitalen Euro, hätte wohl jeder und jede auch eine digitale Zentralbank-Wallet auf seinem Endgerät, entweder als eigene App oder in der App einer Geschäftsbank. Wenn das Zentralbankgeld über die App einer Geschäftsbank verwaltet werden könnte, könnten die Verbraucherinnen und Verbraucher bei jedem Kauf neu entscheiden, ob sie mit dem klassischen Bankkonto oder der Wallet zahlen möchten. Der digitale Euro würde dann wahrscheinlich eher das Bargeld verdrängen als das Giralgeld.

Fest steht, dass digitales Geld das Potenzial hat, um im Bankensystem eine Rolle zu spielen. Das gilt insbesondere im Bereich der Handels- und Lieferkettenfinanzierungen, wo die Distributed-Ledger-Technologie Transaktionen ohne Intermediär ermöglichen würde. Im Falle einer Handelsfinanzierung kann ein Token auch für die Ware selbst stehen – und dadurch könnten auch sofort umfassendere KYC-Daten geteilt werden.

Unternimmt die Branche gemeinsame Anstrengungen, um einen Konsens über die Anwendungen von Distributed-Ledger-Technologie (DLT) zu erzielen?

SL: Zusammenarbeit steht immer im Mittelpunkt des Innovationsansatzes der Commerzbank. Wir sind Teil der neuen Marktkontaktgruppe Technologie der EZB, in der wir uns mit europäischen Marktführern zu verschiedenen Themen austauschen. Darüberhinaus beteiligen wir uns aktiv an Diskussionen mit der deutschen Bankenwelt durch den Bundesverband deutscher Privatbanken (BdB).

Man kann schon sagen, dass die Branche das digitale Zentralbankgeld gemeinschaftlich angeht und dass wir gemeinsam experimentieren. Wir tragen unseren Teil dazu bei und haben tatsächlich kürzlich zu einem gemeinsamen White Paper beigetragen, in dem die Möglichkeiten von tokenisierten Einlagen in Bezug auf Handelsfinanzierungen untersucht wurden.3

Zusammen mit 16 anderen großen Institutionen ist die Commerzbank auch ein Anteilseigner von Fnality, einem Fintech mit Sitz in Großbritannien, dass sich die Entwicklung eines gemeinsamen digitalen Systems zur Abwicklung tokenisierter Transaktionen auf die Fahne geschrieben hat. Fnality sucht nach Möglichkeiten synthetischer CBDCs, einem Setup, das weniger direkte Verwaltung durch Zentralbanken und mehr Zusammenarbeit zwischen privaten und öffentlichen Institutionen beinhaltet.

Dieses Format ist ideal, da es die Geschwindigkeit der Entwicklung eines Fintech mit der konkurrenzlosen Branchenexpertise der etablierten Banken kombiniert. Denn während die Eintrittsbarrieren im Finanzsektor noch relativ hoch sind, hängt Innovation immer noch von der Geschwindigkeit ab. Die vielversprechendste Idee muss schnell umgesetzt werden, um eine echte Wirkung zu erzielen. Wir bewegen uns nicht mit der Geschwindigkeit einer Sofortzahlung – aber es ist ein Ziel, das wir anstreben sollten!