Wie sich Trade Finance durch Corona verändert

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Chancen und Herausforderungen nach dem Corona-Lockdown

Die Corona-Pandemie hat den weltweiten Handel hart getroffen, insbesondere exportorientierte Unternehmen stehen unter enormem Druck. Wie können Banken diese Kunden dabei unterstützen, wieder auf Kurs zu kommen? Und bringen die neuen Rahmenbedingungen nur Herausforderungen oder auch Chancen mit sich? Darüber sprach Insights mit Enno-Burghard Weitzel, Leiter Produktmanagement Trade Finance bei der Commerzbank.

Herr Weitzel, wie wirkte sich die Corona-Krise auf den Welthandel aus?

Enno-Burghard Weitzel, Leiter Produktmanagement Trade Finance

Aus Sicht des Welthandels gab es verschiedene Phasen. Nach dem Produktionsstop in Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei spürten die ersten Unternehmen schon im Januar 2020 einen Versorgungsengpass. Was dort begann, dehnte sich bald auf die Produktion und den Export in ganz China aus.

Als sich das Virus dann weltweit ausbreitete, entstanden neue Epizentren, in denen Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit teilweise komplett einstellen mussten. Die negativen Auswirkungen zeigten sich insbesondere bei Produktionsketten, die sowohl von China als auch von anderen stark betroffenen Standorten wie Italien und Spanien abhingen.

Inzwischen läuft die Produktion in den am schlimmsten betroffenen Regionen Chinas wieder, doch eine Rückkehr zu den Volumina von vor der Krise ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten.

Wie reagierten Unternehmen auf den Corona-Ausbruch?

Überall auf der Welt verhängten Länder einen Lockdown. Der dadurch weltweit einbrechende Handel wirkte sich absolut disruptiv auf die Wirtschaft aus. Obwohl staatliche Unterstützungen bald bereitstanden, gab es erhebliche Probleme mit den Cashflow-Prognosen und dem Zugang zu Liquidität.

In dieser Situation suchten Unternehmen die Unterstützung ihrer Banken, um kurzfristige Liquiditätsengpässe zu überbrücken, Kreditlinien so gut wie möglich aufrechtzuerhalten und Risiken gerade bei ihren Handelsgeschäften zu managen.

Welche Trends erkennen Sie bei der Nachfrage nach Trade-Finance-Produkten?

Viele Unternehmen machen keine Open-Account-Geschäfte mehr mit ihren Handelspartnern. Stattdessen fragen sie immer häufiger nach risikomindernden Trade-Finance-Produkten. Dazu gehören vor allem Akkreditive – ein Hauptprodukt in jedem Krisenumfeld – sowie Bankgarantien und -bestätigungen. Gleichzeitig wirken sich die zunehmenden Risiken im Auslandsgeschäft negativ auf die Bereitschaft mancher Banken zur Kreditvergabe aus. Vor diesem Hintergrund könnte sich die Lücke in der Handelsfinanzierung vergrößern – auf jeden Fall wird es einige Zeit dauern, bis das Vertrauen wieder in die Märkte zurückkehrt.

So schwierig die aktuelle Situation für Unternehmen derzeit ist: Gibt es nicht auch Chancen beim zu erwartenden Aufschwung nach der Pandemie?

Auch wenn Unternehmen sich in einem außergewöhnlich unsicheren Umfeld bewegen: Es gibt durchaus Licht am Ende des Tunnels – vorausgesetzt sie passen ihre Strategien an die aktuellen Herausforderungen an und öffnen sich für Veränderungen. So sollten Unternehmen beispielsweise die Standorte ihrer Fertigungszentren gründlich unter die Lupe nehmen und überprüfen, ob sie nicht einige davon von Asien nach Afrika oder Osteuropa verlagern.

Shoring-Strategien wurden ursprünglich in einem relativ risikoarmen Umfeld entwickelt, als die Kosten noch der entscheidende Faktor für die Wahl des Herstellungsorts waren. Die Risikokosten können heute nicht mehr vernachlässigt werden. Nearshoring – insbesondere für Produkte am unteren Ende der Wertschöpfungskette – könnte bald das wahrscheinlichste Szenario sein. Bei höherwertigen Produkten sehe ich das nicht so, denn darauf sind längst nicht alle Fertigungszentren ausgerichtet.

Welche Möglichkeiten und Ansatzpunkte haben die Banken, um ihre Leistungspalette für Firmenkunden an die Herausforderungen nach dem Lockdown anzupassen?

Im Mittelpunkt werden sicherlich digitale Lösungen stehen. Allein das Homeoffice-Modell, in zahlreichen Unternehmen weiterhin die neue Normalität, hat der Digitalisierung einen neuen Schub gegeben. Trade Finance dagegen ist das klassische Beispiel eines papierintensiven Geschäfts, das von Traditionen und länderspezifischen Gepflogenheiten geprägt ist. Hier gibt es deutlichen Nachholbedarf.

Die Banken haben das erkannt und entwickeln schon seit einigen Jahren innovative und voll digitalisierte Trade-Finance-Lösungen, bei denen immer mehr papierhafte Prozesse wegfallen. Unternehmen führen solche digitalen Lösungen mit hoher Priorität ein, weil sie für ihre neuen Geschäftsabläufe ebenso notwendig wie zweckmäßig sind. Für einige kleinere Unternehmen bedeutet dies eine grundlegende Zäsur – wir stehen bereit, um sie dabei zu unterstützen!

Welche Lösungen bietet die Commerzbank an?

Eine ganze Reihe. Insbesondere unsere Forschungs- und Entwicklungseinheit main incubator hat sehr schnell Lösungen für unsere Firmenkunden entwickelt, die genau auf die aktuellen Herausforderungen zugeschnitten sind. Dazu gehörte auch eine gemeinsam mit dem Partner OptioPay betriebene Online-Plattform für Gutscheine: Damit konnten Waren und Dienstleistungen, die erst nach Lockerung der Lockdown-Maßnahmen geliefert oder bereitgestellt wurden, schon vorab bezahlt werden. Das war eine wichtige Finanzspritze für viele Unternehmen insbesondere aus dem Gastgewerbe, dessen Umsätze im Frühjahr völlig eingebrochen sind.

Agilität ist eben nicht nur für Unternehmen das Gebot der Stunde, sondern auch für Banken, wie ein weiteres Beispiel zeigt: Die Commerzbank hat die digitale Signatur bei der Herauslegung von Garantien eingeführt. Dadurch können unsere Mitarbeiter weiterhin Garantien ausstellen, auch wenn sie nicht im Büro sind, um diese zu unterzeichnen.

Wie wichtig sind bei all den Unsicherheiten langfristige Kundenbeziehungen?

Sie sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Auch dazu ein Beispiel: Angesichts der zunehmenden Risiken im internationalen Geschäft könnten einige Finanzinstitute den Rückzug aus bestimmten Regionen oder Sektoren erwägen. Als wichtiger Kreditgeber der deutschen Wirtschaft muss die Commerzbank dagegen umsichtig und verantwortungsvoll handeln. Deshalb bekennen wir uns auch weiterhin zu unserem klaren Kurs: Aufgrund unserer internationalen Expertise und vor allem der tief verwurzelten Beziehungen zu unseren Firmenkunden bieten wir ihnen gerade jetzt uneingeschränkt unsere volle Unterstützung.

Immer schon waren wir bestrebt, das Geschäftsmodell und die internen Abläufe unserer Firmenkunden zu verstehen. Heute hilft uns das, die Finanzlage eines Unternehmens und seine Zukunftsfähigkeit zuverlässig einzuschätzen. Auf dieser Basis können wir sehr schnell die passgenaue finanzielle Unterstützung und weitere Lösungen bereitstellen – von der Ausweitung der Kreditlinien bis hin zu Maßnahmen für die Liquiditätsverbesserung.

Firmenkunden vergessen nicht, dass wir auch in schwierigen Zeiten für sie da sind. Daraus entstehen oft lange und erfolgreiche Partnerschaften. In der aktuellen Phase der Unsicherheit setzen wir alles daran, dieses Versprechen gegenüber unseren Kunden aufrechtzuerhalten.